Sonntag, 26. April 2015

Die Bilder - BARTHES

BILD. Auf dem Felde der Liebe erwachsen die schwersten Wunden mehr aus dem, was man sieht, als aus dem, was man weiß.

1. (>>Bei der Rückkehr aus der Garderobe sieht er sie plötzlich, einander zugeneigt, in eine leise Unterhaltung vertieft.<<)

Das Bild hebt sich heraus; es ist klar und deutlich wie ein Brief: es ist der Brief über das, was mir wehtut. Genau, vollständig, ausgefeilt, endgültig, lässt er mir nicht den geringsten Raum: ich bin davon ausgeschlossen wie von der Urszene, die wahrscheinlich nur insoweit existiert, wie sie sich vor dem Umriss des Schlüssellochs abzeichnet. Und das ergibt denn auch endlich die Definition des Bildes, jedes Bildes: das Bild ist das, von dem ich ausgeschlossen bin. Im Gegensatz zu jenen Rebus-Zeichnungen, wo der Jäger versteckt ins Laubgewirr eingearbeitet ist, komme ich in dieser Szene nicht vor: das Bild ist ohne Rätsel.

2. Das Bild ist unwiderruflich, es hat immer das letzte Wort; kein Wissen kann ihm widersprechen, es zurechtrücken, es verfeinern. Werther weiß wohl, dass Lotte Albert versprochen ist, und leidet darunter letztlich nur vage; aber "es geht [ihm] ein Schauder durch den ganzen Körper, Wilhelm, wenn Albert sie um den schlanken Leib fasst". Ich weiß wohl, dass Lotte mir nicht gehört, sagt Werthers Vernunft, aber gleichwohl, Albert stiehlt sie mir, sagt das Bild, das er vor Augen hat.

3. Die Bilder, aus denen ich ausgeschlossen bin, sind für mich grausam; aber manchmal (Umkehrung) bin ich auch ins Bild eingelassen. Wenn ich mich von der Caféterrasse entferne, auf der ich den Anderen in Gesellschaft zurücklassen muss, sehe ich mich allein aufbrechen und, ein wenig ferngerückt, in die verlassene Straße einbiegen. Ich verwandle meine Ausschließung in ein Bild. Dieses Bild, in dem meine Abwesenheit wie in einem Spiegel eingefangen wird, ist ein trauriges Bild.

Ein Gemälde der Romantik zeigt eine Auftürmung von Eisblöcken in fahlem Polarlicht; kein Mensch, kein Objekt belebt diesen trostlosen Raum; aber wenn ich auch nur im geringsten der Traurigkeit der Liebe verfallen bin, verlangt diese Leere gerade, dass ich mich hineinprojiziere; ich sehe mich als kleine Figur, für immer verlassen, auf einem dieser Eisblöcke sitzen. "Mir ist kalt", sagt der Liebende, "kehren wir um", aber es gibt keinen Weg, das Schiff zerschellt. Es gibt eine besondere Kälte des Liebenden: das Frösteln des kleinen (Menschen-,Tier-)Wesens, das der mütterlichen Wärme bedarf.

4. Was mich verletzt, sind die Formen der Beziehung, ihre Bilder; oder vielmehr: was die anderen Form nennen, erlebe ich als Kraft. Das Bild ist - wie das Beispiel für den Zwanghaften - die Sache selbst. Der Liebende ist also ein Künstler, und seine Welt ist eine ganz verkehrte Welt, weil darin jedes Bild sein eigener Zweck ist (nichts, was über das Bild hinausgeht).

roland barthes, fragmente einer sprache der liebe
bild: caspar david friedrich "das eismeer"




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