Samstag, 18. April 2015

"Anbetungswürdig!"

Ich begegne in meinem Leben Millionen von Leiber; von diesen Millionen kann ich nur einige Hundert begehren; von diesen Hunderten aber liebe ich nur einen. Der Andere, dem meine Liebe gilt, bezeichnet mir die Besonderheit meines Verlangens.
Diese Wahl, die so streng ist, dass nur der Eine, Einzige übrig bleibt, macht, sagt man, den Unterschied der analytischen und der liebenden Übertragung aus; die eine ist universal, die andere spezifisch. Es hat vieler Zufälle, vieler überraschender Koinzidenzen bedurft (und wahrscheinlich vielen "Suchens"), bis ich das Bild finde, das unter tausend anderen, meinem Verlangen entspricht. Da liegt ein tiefes Rätsel verborgen, für das ich den Schlüssel niemals auffinden werde: warum begehre ich gerade Ihn? Warum begehre ich ihn unablässig, sehnend? Begehre ich ihn als Ganzes (eine Silhouette, eine Form, ein Gesichtsausdruck)? Oder nur einen Teil dieses Körpers? Und was ist in diesem Falle dazu ausersehen, an diesem geliebten Körper für mich zum Fetisch zu werden? Welcher vielleicht unglaublich kleine Teil, welche unwesentliche Eigenschaft? Die Kuppe eines Fingernagels, ein etwas abgeschrägter Zahn, eine Haarsträhne, eine bestimmte Art, beim Reden, beim Rauchen die Finger zu spreizen? Von allen diesen Falten des Körpers gelüstet es mich zu sagen, dass sie anbetungswürdig sind. Anbetungswürdig soll heißen: das ist meine Begierde, soweit sie je einzelne Begierde ist:"Das ist es! Genau das ist es (was ich liebe)!" Dennoch, je deutlicher ich die Besonderheit meiner Begierde erlebe, um so weniger kann ich sie benennen; der Präzision der Zielscheibe entspricht ein zitterndes Schwanken des Namens; das Eigentümliche der Begierde kann nur die Uneigentlichkeit der Aussage hervorbringen. Von diesem sprachen Misslingen bleibt lediglich eine Spur erhalten: das Wort "anbetungswürdig" (die treffende Übersetzung wäre das lateinische ipse: er ist es, er selbst, in Person).


text: roland barthes
bild: hugh douglas hamilton "cupid and psyche"

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