Donnerstag, 14. August 2014

Mein lieber Freund,

Mein Lieber Freund,
ich hoffe, dieser Brief erreicht Sie bei guter Gesundheit. Ich weiß, das das, was ich hier schreibe, kein Brief ist, sondern eine E-Mail. Kein Mensch schreibt mehr Briefe. Ich habe, ganz ehrlich, Sehnsucht nach den Zeiten, in denen Menschen korrespondierten, sich Briefe schrieben, wirkliche Briefe auf gutem Papier, das man mit einem Tropfen Parfüm schmücken konnte oder denen man trockene Blumen, bunte Federn, eine Haarsträhne beilegen konnte. Ich habe ein wenig Sehnsucht nach diesen Zeiten, in denen der Briefträger Briefe ins Haus brachte, und nach der Freude, auch der Angst, mit der wir sie entgegennahmen, sie öffneten, sie lasen, und nach der Sorgfalt, mit der wir beim Antworten Worte wählten, abwogen, ihr Licht und ihr Feuer abschätzten, ihren Duft spürten, weil uns klar war: Sie würde später ebenfalls abgewogen, studiert, ihr Duft eingeatmet, genossen, und manche von ihnen würden vielleicht dereinst einmal dem gierigen Schlund er Zeit entgehen und viele Jahre später noch einmal gelesen werden. Ich ertrage diese grobschlächtige Formlosigkeit elektronischer Post nicht. Mit Grausen, ja, körperlichem, metaphysischem, moralischem Grausen begegne ich diesem „Hi!“, das uns aus Brasilien aufgezwungen wurde – wie soll man jemanden ernst nehmen, der einen so anredet?

Das Lachen des Geckos, José Eduardo Agualusa

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