Sonntag, 13. Juli 2014

social dynamics

[...] Er kam zu der Erkenntnis, dass die Macht in seinem Land - wie, kann getrost hinzugefügt werden, in vielen mächtigen Organisationen und Systemen der Welt auch - nicht durch eine traditionelle Führungshierarchie aufrechterhalten wurde, sondern durch das aktive und geheime Einverständnis derjenigen in der Gesellschaft, die am wenigsten Macht besaßen und deren Handlungen sich innerhalb gewisser "Automatismen" vollzogen.
Als Beispiel führt er einen Gemüsehändler an, der in seiner Auslage ein Spruchband ausstellt, "Arbeiter aller Länder, vereinigt euch". Das Schild wurde mitsamt den Zwiebeln und Möhren vom Staatsbetrieb geliefert. Allerdings setzt der Händler das Schild nicht deswegen ins Schaufenster, weil es ihm wirklich ein Bedürfnis ist, der Öffentlichkeit seine Ideale mitzuteilen. Havel interpretiert die wahre Botschaft des Gemüsehändlers folgendermaßen: "Ich der Gemüsehändler XY, bin hier und weiß, was ich zu tun habe; ich benehme mich so, wie man es von mir erwartet: auf mich ist Verlass, und man kann mir nichts vorwerfen, ich bin gehorsam und habe deshalb das Recht auf ein ruhiges Leben."
Das Schild verkündet also, dass sich der Händler der inneren Dynamik eines Systems, das darauf angewiesen ist, dass alle mitspielen, unterwirft. Seine Tat ist eine von Hunderttausenden, die das System stabilisieren und dafür sorgen, dass die einzelnen Bürger der Parteilinie folgen.
Auch wenn man glaubt, in einer freien und demokratischen Gesellschaft zu leben, hat jeder aus erster Hand diese von Havel beschriebenen Automatismen erfahren. [...]

[...] Oder man hat sich gegen das System erhoben, nur um dann festzustellen, dass man von den anderen Machtlosen, die ebenfalls ihr Schild im Fenster ausstellen, aufgerieben wurde.

Fordert man das System offen heraus, erfährt man, dass nicht die angeblichen Machthaber, sondern ganz gewöhnliche Individuen, die eifrig [...] , die unnachgiebigsten Gegner sind. [...] Systeme, die auf geheime Einverständnisse und Automatismen beruhen, sind aus der Sicht der Chaostheorie keine offenen kreativen Systeme. [...] ...dass letztendlich derjenige, der Kontrolle ausübt, kontrolliert wird - wer antritt, das System zu überwältigen, wird von ihm überwältigt. Man macht sich etwas vor, wenn man diese Systeme so behandelt, als seien sie etwas Separates, von uns Getrenntes.

Aber wenn es wahr ist, ..... dass diese ... Systeme durch das Netzwerk unseres Einverständnisses mit dem "Grenzzykel" zusammengehalten werden, impliziert dies, dass der Einfluss des einzelnen enorm sein muss. Daraus ergibt sich, dass man den eigenen Einfluss auf positive Weise nutzen sollte, um eine offene, kreative Umgebung zu schaffen. (Briggs & Peat "Chaos")

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