Mein
Lieber Freund,
ich
hoffe, dieser Brief erreicht Sie bei guter Gesundheit. Ich weiß, das
das, was ich hier schreibe, kein Brief ist, sondern eine E-Mail. Kein
Mensch schreibt mehr Briefe. Ich habe, ganz ehrlich, Sehnsucht nach
den Zeiten, in denen Menschen korrespondierten, sich Briefe
schrieben, wirkliche Briefe auf gutem Papier, das man mit einem
Tropfen Parfüm schmücken konnte oder denen man trockene Blumen,
bunte Federn, eine Haarsträhne beilegen konnte. Ich habe ein wenig
Sehnsucht nach diesen Zeiten, in denen der Briefträger Briefe ins
Haus brachte, und nach der Freude, auch der Angst, mit der wir sie
entgegennahmen, sie öffneten, sie lasen, und nach der Sorgfalt, mit
der wir beim Antworten Worte wählten, abwogen, ihr Licht und ihr
Feuer abschätzten, ihren Duft spürten, weil uns klar war: Sie würde
später ebenfalls abgewogen, studiert, ihr Duft eingeatmet, genossen,
und manche von ihnen würden vielleicht dereinst einmal dem gierigen
Schlund er Zeit entgehen und viele Jahre später noch einmal gelesen
werden. Ich ertrage diese grobschlächtige Formlosigkeit
elektronischer Post nicht. Mit Grausen, ja, körperlichem,
metaphysischem, moralischem Grausen begegne ich diesem „Hi!“, das
uns aus Brasilien aufgezwungen wurde – wie soll man jemanden ernst
nehmen, der einen so anredet?
Das Lachen des Geckos, José Eduardo Agualusa
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